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Wegweisendes Urteil zu Meinungsfreiheit: Gericht maßregelt AStA der Uni Mainz

9. Oktober 2021 | Kategorie: Ausbildung & Beruf, Panorama, Ratgeber, Regional, Rheinland-Pfalz

Nach der erfolgreichen Verhandlung in Mainz: Melanie Wiese, Marcus Licht und Einar Matthes (Hochschulgruppe Mainz) mit Rechtsanwalt Eberhard Reinecke (ifw) und Michael Schmidt-Salomon (gbs).
Foto: (c) Elke Held

Mainz – Eine vollumfängliche gerichtliche Schlappe musste der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz einstecken.

Am 22. September gab das Verwaltungsgericht Mainz einer Klage der dortigen Hochschulgruppe für Humanismus und Aufklärung in allen Punkten statt, die sich gegen die jahrelange Benachteiligung der Hochschulgruppe (HSG) durch AStA der Uni richtete.  Der AStA hatte verhindert, dass sich die der Giordano-Bruno-Stiftung nahe stehende Hochschulgruppe am universitären Leben beteiligen konnte.

Entzündet hatte sich der Streit Anfang 2017, als der AStA der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vorwarf, diese habe 2011 mit der Verleihung ihres Ethikpreises an das „Great Ape Project“ unter anderem den australischen Philosophen Peter Singer ausgezeichnet, der durch „behindertenfeindliche Ansichten und Äußerungen“ aufgefallen sei. Versuche der Hochschulgruppe, eine zwar kritische, aber auch faire Auseinandersetzung mit dem Philosophen herbeizuführen, schlugen mehrfach fehl. Der AStA unterstellte der Hochschulgruppe absurderweise, „behindertenfeindlich“ zu sein – das Gegenteil ist der Fall.

Über die Jahre kamen weitere Begründungen hinzu, um die Benachteiligung zu rechtfertigen. So wurde beispielsweise faktenwidrig behauptet, gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad, mit dem die Hochschulgruppe eine Veranstaltung durchführte, sei ein „islamophober Rassist“, der den Islam grundsätzlich in eine extremistische Ecke dränge, pauschale Religionsverunglimpfung betreibe und keinerlei Kritik an seinen Positionen zuließe.

Lange Akte, kurzer Prozess

In den über 150 Seiten des Schriftwechsels, der Klage und ihren Anlagen, die den gesamten Streit zwischen gbs-HSG und AStA auf politischer, philosophischer und rechtlicher Ebene wiedergaben, war nahezu jedes erdenkliche (Gegen-)Argument enthalten. So gab es von der Beklagten kaum noch Gegenrede und die Diskussion vor Gericht fiel recht kurz aus.

AStA ist zur Neutralität verpflichtet

Ausschlaggebend war für das Gericht insbesondere die Frage, inwieweit die vom AStA vorgebrachten Vorwürfe überhaupt eine Rolle hätten spielen dürfen. Im Rahmen seiner Kompetenzen ist der AStA nämlich mit Hoheitsrechten ausgestattet. Er verwaltet einen großen Teil der Semesterbeiträge, die alle eingeschriebenen Studierenden zu zahlen haben und hat konkrete im Hochschulgesetz festgelegte Aufgaben. Wie für alle Verwaltungsbehörden gilt für ihn insofern eine Pflicht zur weltanschaulichen und politischen Neutralität – so auch die ständige Rechtsprechung, auf die vom Verwaltungsgericht verwiesen wurde.

Ein AStA muss demnach alle Studierenden vertreten und dabei insbesondere Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Chancengleichheit im hochschulinternen Diskussionsprozess achten.

Dazu stellte das Verwaltungsgericht bereits in der mündlichen Verhandlung in aller Deutlichkeit fest: Die Studierenden haben selbstverständlich das Recht, politische oder weltanschauliche Überzeugungen an der Hochschule zu vertreten, die Organe der studentischen Verwaltung hingegen nicht.

Mehr noch: Den Studierenden steht aufgrund ihrer zwangsweisen Mitgliedschaft in der Studierendenschaft ein Abwehranspruch zu, falls ein AStA jenseits der verfassungsmäßigen Vorgaben einschränkend in die politische Meinungsbildung eingreift, wie dies im Fall der gbs-Hochschulgruppe Mainz geschehen ist.

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz stimmte daher der Klage der gbs-Hochschulgruppe in allen Punkten zu.

Ein Urteil mit Signalwirkung

„Damit ist das Gericht unserer Klage in vollem Umfang gefolgt“, erklärt Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der die gbs-Hochschulgruppe im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vor Gericht vertreten hat. „Allerdings ist die Wirkung des Urteils nicht nur auf diesen konkreten Fall begrenzt. Die Entscheidung beweist nämlich, dass Betroffene sich erfolgreich wehren können, wenn öffentliche Einrichtungen die Meinungsfreiheit und die dafür unerlässliche Chancengleichheit einschränken.“

„Rechtswidrig gehandelt, um abweichende Meinungen zu unterdrücken“

Sehr zufrieden mit dem Urteil zeigen sich auch die Jurastudenten Einar Matthes und Marcus Licht von der gbs-Hochschulgruppe Mainz, die nach den mehrmaligen Versuchen der argumentativen Auseinandersetzung das Verfahren angestrengt und die Klageschrift juristisch ausgearbeitet hatten: „Die Diskussionen haben verdeutlicht, dass viele studentischen Vertreter aus dem AStA ein fundamental anderes Verständnis von Meinungsfreiheit haben. Es ist offenbar ein Denksystem vorherrschend, das Personen nicht von Positionen trennen kann, das Meinungsvielfalt als potenzielle Gefahr begreift, unbequeme Ideen und Denker verdammt und all diejenigen, die sich nicht ohne jegliche Differenzierung distanzieren möchten, über ‚Kontaktschuld‘ ebenfalls zu ‚unerwünschten Personen‘ erklärt“, so Licht und Matthes.

Dass bei einer solchen Herangehensweise für die vermeintliche gute Sache auch ein Handeln außerhalb der gesetzlichen Regeln als legitim erachtet werde, wiege umso schlimmer. „Wir hätten den AStA sehr viel lieber mit unseren Argumenten überzeugt. Wenn sich aber die Gegenseite einer rationalen Debatte weitestgehend verschließt und obendrein rechtswidrig handelt, um abweichende Meinungen von vornherein zu unterdrücken, gibt es auf Dauer leider keinen anderen Weg als den der gerichtlichen Auseinandersetzung.“

Schmidt-Salomon: Hypermoralismus als dogmatische Denkhaltung

Dem stimmt gbs-Vorstandssprecher, der Philosoph und Autor Dr. Michael Schmidt-Salomon zu: „Das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz ist ein Sieg für die Streitkultur an deutschen Universitäten. Die Hochschulen sollten Orte der freien Debatte sein, keine geschlossenen Denkräume, in denen ‚gutmeinende‘ Inquisitoren vorgeben, was moralisch ’schicklich‘ ist und was nicht. Wie wir gesehen haben, kann der universitäre Toleranzraum mitunter sehr klein sein. Das Bemerkenswerte an diesem Fall an der Uni Mainz ist ja, dass die gbs-Hochschulgruppe und der AStA weltanschaulich und politisch gar nicht so weit auseinanderlagen, der AStA aber durch das meinungsstarke Agitieren Einzelner zunehmend in den Modus des Hypermoralismus geriet, der keinerlei Abweichung vom vorgefassten Standpunkt mehr erlaubte. In früheren Zeiten war eine solch dogmatische Denkhaltung eher bei rechten Gruppierungen beheimatet; dass sie nun zunehmend ‚linke‘ Gruppen erfasst, ist eine bedenkliche Entwicklung, gegen die man rechtzeitig einschreiten sollte – notfalls auch mit dem Gang vors Gericht.“ (hdp/red)

Info

In der rund 30-seitigen schriftlichen Urteilsbegründung (3 K 585/20.MZ) heißt es:

„1. Es wird festgestellt, dass der Entzug der Registrierung der Klägerin als studentische Initiative für das Wintersemester 2019/2020 (…) rechtswidrig gewesen ist.

  1. Die Beklagte wird (…) verpflichtet, den Plenumsbeschluss des AStA vom August 2017 aufzuheben.
  2. Der Bescheid vom 5. März 2020 (…) wird hinsichtlich des Widerrufs der Bewilligung eines Zuschusses zur Veranstaltung „Isch geh Bundestag – Vortrag mit anschließender Diskussion mit Philipp Möller“ (…) aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Aufwendungen zu dieser Veranstaltung 380,80 € zu zahlen.
  3. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.“
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