Herxheim. „Was ist Zeit? Eine ziemlich relative Angelegenheit“ wenn einem nur noch sechs Monate wegen eines Hirntumors bleiben. Dieses ernste Thema wurde am vergangenen Freitag bei der Premiere des Stückes „Ten things to do before I die“ von Jörg Menke-Peitzmeyer als erste Produktion der Expedition „Junges Chawwerusch“ angegangen.
„Sieht aus, als hätte ich eine Fliege verschluckt! Es ist doch eine Fliege, oder?“ fragt Hauptdarstellerin Marie, hervorragend gespielt von Miriam Grimm. Die junge Frau wird in sechs Monaten an einem Hirntumor sterben – auch auf der Bühne rennt die Zeit in einem 90 minütigen Countdown.
Zusammen mit ihrem sich hilflos fühlenden Freund Lukas (Stephan Wriecz) vollziehen diese anderthalb Stunden die körperlichen und seelischen Höhen und Tiefen der Erkrankung nach. Zugleich arbeitet Marie mit Lukas ihre Liste mit zehn Dingen, die sie noch tun möchte, gemeinsam mit dem Publikum ab. Diese reichen von einer Liebeserklärung, über richtiges Bungeejumpen bis zu einer Reise an die türkische Ägäis – aber immer gehetzt durch die verrinnende Zeit.
So dramatisch wie das Thema selbst kommt zunächst auch das Stück daher: Marie, sichtlich gezeichnet von ihrer Krankheit, blass und mit Kopftuch von der Chemotherapie, die doch nichts brachte, will ihre Liste abarbeiten und lässt Lukas und das Publikum daran teilhaben.
Das Publikum aktiv einzubeziehen, es mit Rollen zu versorgen oder Requisiten auszuborgen, ist vielleicht nicht für jeden etwas, zeigt aber auch deutlich, dass die Thematik doch jeden einzelnen angeht. Die schauspielerisch hervorragend gezeigte psychologische Ausnahmesituation wird teilweise durch komische Momente gebrochen. So etwa als Marie ihren Lieblingsfilm – bezeichnenderweise „Zurück in die Zukunft“ – noch einmal sehen will und das Publikum in einzelne Figuren schlüpft.
Immer wieder wird nach der verbliebenen Zeit gefragt – und was man mit ihr anfangen muss. Dass „Krebs etwas anderes ist als eine Mandelentzündung“ wird dem Publikum immer wieder vor Augen geführt. Das Auf und Ab der Gefühle, die zwischen Hoffnung, Streit, Rückblicken und ernsten Gesprächen schwanken, wird in den 90 Minuten aufgearbeitet.
Mit nur wenigen Requisiten wird zudem auch auf die Eltern Maries eingegangen, die ebenfalls von den beiden Hauptdarstellern gespielt werden. Zudem bangt man nicht nur um die todkranke Marie, sondern auch um Lukas, der „als Überlebender in einem Krebsdrama die Arschkarte gezogen“ hat und seine eigene Liste machen will.
Spirituell angehaucht ist eine Wunderszene bei einem Schamanen und Marie erfährt, dass sie „in einen anderen Körper wie in andere Klamotten schlüpfen kann“ nach dem Sterben.
„Einer von einer Million zu sein – jetzt hat mich endlich mal einer entdeckt. Soll ich mich beschweren, dass es ausgerechnet der Krebs ist?“, fragt Marie tragisch-komisch zugleich, denn „die Stars sterben nie!“
Dieser Sprachwitz, der sich durch das Stück zieht, bleibt auch am Ende, wenn Lukas alleine auf der verdunkelten Bühne zurückbleibt und über die Moral des Stückes resümiert: „Man hat die Zeit, die man hat, dann macht man, was man kann, dann stirbt man – das ist alles!“
Das Stück, das sich in erster Linie, aber nicht nur, an Jugendliche richtet, fragt nach dem Leben, nach dem Carpe diem, und handelt doch vom Sterben.
Autor Jörg Menke-Peitzmeyer, der Stück in nur acht Stunden schrieb, und Gast-Regisseurin Éva Adorján, die das Kinder- und Jugendtheater im Pfalzbau Ludwigshafen leitet, haben zusammen mit dem bewusst minimalistisch gehaltenen Bühnen- und Kostümbild von Daniela Hohenberger die Grenzen zwischen Spiel und Realität verschwimmen lassen, um so dem schauspielerischen Talent von Miriam Grimm und Stephan Wriecz, die beide seit 2012 fest im Ensemble des Chawwerusch Theaters sind und die Expedition Junges Chawwerusch in Leben gerufen haben, Raum zu geben.
Es bleibt zu wünschen, dass man noch mehr von der Expedition „Junges Chawwerusch“ zu sehen bekommen wird. (sek)
Die weiteren Spieltermine: Chawwerusch Theatersaal in Herxheim: 24., 25., 26., 31. Oktober , 01., 02., 07., 08. und 09. November 2014, Beginn 20 Uhr, sonntags 19 Uhr
Schulvorstellungen: Möglich am 03. – 06. und 10. – 12. November vormittags und nach Vereinbarung, das Stück ist geeignet ab der 9. Klassenstufe.
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