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Rheinzabern: Tolle Tour de Jumelage nach Burgund

6. September 2016 | Kategorie: Kreis Germersheim
Die deutsch-französische Gruppe in St. Aubin-sur-Loire. Fotos: Beil

Die deutsch-französische Gruppe in St. Aubin-sur-Loire.
Fotos: Beil

Rheinzabern – Im wahrsten Sinne eine heiße Jumelage erlebte eine Rheinzaberner Delegation unter Führung von Ortsbürgermeister Gerhard Beil, die am 3. und 4. September bei den Freunden in Burgund weilte.

Sind an sich schon die Begegnungen stets von großer Warmherzigkeit geprägt, so hatte diesmal Saint Pierre bis auf 30 °C aufgeheizt.

Deswegen startete man bereits im Frühtau, stärkte sich unterwegs mit einem „Pique nique Palatina“, hielt noch ein schöpferisches Nickerchen im Bus, ehe es galt, entlang der Wegstrecke interessante Eindrücke zu sammeln, um das Bild von der Partnerregion Burgund weiter puzzleartig wachsen zu lassen.

In Le Creusot galt es fast 200 Jahre Industriegeschichte zu entdecken. Le Creusot war eines der frühesten Industriereviere und Beispiel für die industrielle Revolution. Seit den Römern nutzte man das Eisenerz mit Hilfe von Holzkohle.

Seit dem 18. Jahrhundert produzierte die königliche Gießerei Kanonenrohre für Marineschiffe, die über das Kanalnetz zu den Seehäfen transportiert wurden. Englische Ingenieure führten die Eisenverhüttung mit Steinkohlekoks ein. Kurz vor der Französischen Revolution errichtete hier Marie Antoinette eine königliche Glasmanufaktur.

Im Jahre 1836 kauften die Brüder Adolphe und Eugen Schneider, erfolgreiche Söhne eines neureichen Notars aus Lothringen, bauten die Glasmanufaktur zu einem Schloss aus und schufen peu a peu eines der bedeutendsten Industrieimperien Frankreichs.

Ruß, Schwefeldämpfe, Staub, Lärm und insbesondere die stampfenden Dampfhämmer prägten die Stadt, wo von der Bratpfanne bis zur Kanone, vom Eisenträger bis zu Schiffsschrauben und Lokomotiven alles Mögliche dieser einstigen Schlüsselindustrie produziert wurde. Die ganze Stadt war eine Fabrik.

In einem patriarchalischen System bauten die Schneiders Arbeiterhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen. Den Schneiders gehörten Kopf, Seele und Arbeitskraft der Menschen. Dennoch kam es zu schlimmen Streiks, die vom Militär niedergeschlagen wurden. Schließlich war nach dem Verlust Lothringens im Krieg 1870-71 das Industriegebiet Le Creusot strategisch besonders wichtig.

Die Schneiders verdienten prächtig an Waffenlieferungen in die ganze Welt. Im Grande Guerre 1914-1918, in dem z.B. das Jahr 1916 gleich zwei mörderische Schlachten bei Verdun und an der Somme brachte, bildeten sie das rüstungsindustrielle Pendent zu den deutschen Waffenfabriken an Ruhr und Saar.

Im II. Weltkrieg produzierten die Schneiderwerke für die dt. Wehrmacht, weshalb Le Creusot von Alliierten bombardiert wurde.

Nach einer Blüte in den ersten Nachkriegsjahren folgte der Niedergang des Schneider-Imperiums. Im Zuge des globalen Strukturwandels wurde Le Creusot eine saubere Stadt mit modernen Industrien bis hin zum Bau des TGV oder von Kernkraftwerken. Der Marteau-Pilon, ein riesiger Dampfhammer, ist für immer Wahrzeichen der Stadt.

 Der größte Dampfhammer der Welt – Wahrzeichen von Le Creusot.

Der größte Dampfhammer der Welt – Wahrzeichen von Le Creusot.

Eine interessante Führung stellte die Schneider-Dynastie vor, gab Einblick in die Kristallglasherstellung, zeigte Modelle von der Produktion und dem Wachstum von Le Creusot.

Besonders schön – in einem ehemaligen Glasofen – das im Jahre 1905 von Schneider errichtete Minitheater, eine Nachbildung der Mailänder Scala. Hier hielten die Schneiders Kunden aus aller Welt bei Laune, ehe sie Verträge für Großaufträge abschlossen.

Was Krupp auf deutscher Seite, das waren die Schneiders für Frankreich. Unschwer, dass die Thematik auch in die Gedenkjahre zum Ersten Weltkrieg passten, wie überhaupt bei der Jumelage immer auch die historische Vergangenheit einfließt.

Das idyllische Städtchen Mt. Saint Vincent, in Belvedere-Lage auf über 600 m Höhe gelegen, bereitete sich gerade auf ein Wochenende der Malerei vor, wo man Künstlern in allen Gassen, Gärten und Winkeln des Ortes über die Schulter schauen kann.

Die romanische Kirche erinnert an die Hochzeit des nahen Klosters Cluny, ihre wunderbare Akustik ließ bei einem spontanen Te Deum Gänsehaut aufkommen.

Berührt war man auf dem Friedhof am Grabe einer durch die SS ermordeten 17-Jährigen. Ob die heutigen Touristen dies noch berührt, wenn sie einen der schönsten Picknick-Plätze Frankreichs besuchen?

Nach Quartiermache bei Familien trafen sich die Jumelage-Freunde zum Diner im Casino von Bourbon-Lancy, dem „Verbandsgemeinde-Sitz“ der kleinen Dörfer wie z.B. Chalmoux, Cronat, Mont, Saint-Aubin-sur-Loire und Vitry-sur-Loire, die mächtig unter dem demographischen Wandel und der Landflucht leiden. Umso wichtiger sind Begegnungen wie die Jumelage.

Am Sonntagmorgen gab es individuelle Unternehmungen, angefangen vom Besuch eines Bauernmarkts in Digoin, über eine Visite von Bourbon-Lancy, dem netten Thermal-Badeort an der Loire, bis zu einem kulturell-botanischen Austausch beim ehemaligen Bürgermeister und Partnerschaftsvater, Henry Astier, in dessen stets von ihm spitzbübisch benannten „Freien Republik“, einer ehemaligen Ferme.

Im Bürgerhaus von Saint-Aubin-sur-Loire ging die Jumelage im wahrsten Sinne durch den Magen. Mit einer schmackhaften Charcuterie, Salaten, Kuchen etc. beschloss man die Stippvisite, die – wie immer – zu kurz war. Zum Anneresl wird man sich wiedersehen.

Beaune, die Welthauptstadt des Weins, ließ bei einem Zwischenaufenthalt seinen Charme spielen, ehe es in angenehmer Rückreise in die heimischen Gefilde ging.

Anstrengend, aber äußerst eindrucksvoll, so könnte man wieder das Resümee bezeichnen. Wer dabei war, der wird noch lange einiges zu erzählen wissen. (Gerhard Beil)

Nachdenken über die dt./frz. Geschichte auf dem Friedhof in Mt. Saint Vincent.

Nachdenken über die deutsch-französische Geschichte auf dem Friedhof in Mt. Saint Vincent.

 

Henry Astier schwärmt vom Gelingen Rheinzaberner Pflanzen in seinem Garten.

Henry Astier schwärmt vom Gelingen Rheinzaberner Pflanzen in seinem Garten.

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