Südpfalz/Berlin – Dass die Grünen heutzutage keine Pädophilen-Unterstützer sind, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Für den politischen Gegner scheint die Debatte um den Einfluss pädophiler Interessensgruppen in der Frühphase der Grünen Partei jedoch ein unerwarteter Glücksfall – wenige Tage vor der Wahl.
Die Grünen selbst hatten eine Studie darüber in Auftrag gegeben mit der Anweisung, alles schonungslos offenzulegen. Mittlerweile hat die Partei das gedankliche Hippie-Umfeld der 70er/80er Jahre definitiv hinter sich gelassen – dennoch, das Thema wird weidlich ausgeschlachtet.
Interessant ist auch der Zeitpunkt, an dem die Ergebnisse der Studie an die Öffentlichkeit getragen wurden. Erinnerungen werden wach an die „Dirndl-Affäre“ um den FDP-Spitzdenkandidaten Rainer Brüderle – ebenfalls kurz vor seiner Nominierung.
Aufgearbeitet werden muss das Thema jedoch definitiv – und gründllich. 1981 hatte der heutige Spitzenkandidaten der Grünen, Jürgen Trittin – damals Student und Stadtratskandidat – das Wahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen presserechtlich verantwortet – darin war Strafmilderung für gewaltfreie sexuelle Handlungen mit Kindern gefordert worden: Seither hagelt es Rücktrittsrufe seitens der Union und der FDP.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, hält die Rücktrittsforderungen für überzogen und nimmt die Grünen in Schutz: Mit der unabhängigen Aufarbeitung ihrer „Gründungszeit“ hätten diese die richtige Entscheidung getroffen. „Auch schmerzhafte Ergebnisse werden veröffentlicht, das ist der richtige Weg“, sagte Rörig.
Pfalz-Express fragte bei dem südpfälzer Direktkandidaten Dr. Tobias Lindner nach und bat um eine Stellungnahme zu dem viel diskutierten Thema.
Lindner betonte, dass das Thema viel zu ernst für einen Wahlkampf sei und er folgende Stellungnahme lediglich auf Anfrage des Pfalz-Express äußere.
„Anfang der 80er Jahre gab es den Versuch von pädophilen Interessensgruppen in der Grünen Partei, wie auch in anderen gesellschaftlichen Gruppierungen und Parteien, eine Legalisierung von pädophilen Beziehungen im politischen Programm zu verankern. Diesen inakzeptablen Forderungen ist nicht in der nötigen Konsequenz entgegengetreten worden“, sagte Lindner dem Pfalz-Express.
Lindner: Unterstützen restlose Aufklärung
„Wie wir heute wissen, waren diese Forderungen in unterschiedlichen frühen Programmen auf Bundes-, Landes- und auch kommunaler Ebene der Grünen Partei enthalten. Unsere Partei hat sich ab Mitte der 80er Jahre bis zum Jahr 1989 vollständig und nachhaltig von diesen Positionen getrennt – dies hat zu lange gedauert. Für diese Fehler tragen wir als Gesamtpartei Bündnis 90/Die Grünen Verantwortung.
Deshalb haben wir uns im Mai dieses Jahres dazu entschieden, die Geschichte unserer Partei zu diesem Punkt umfangreich, wissenschaftlich fundiert und unabhängig untersuchen zu lassen. Hierzu haben wir den Parteienforscher Professor Franz Walter gebeten, ein Forschungsprojekt durchzuführen, das von Bündnis 90/Die Grünen mit 209.000 Euro und dem Zugang zu unseren Archiven unterstützt wird. Außerdem rufen wir dazu auf, dass sich Zeitzeugen und Betroffene bei uns oder direkt bei Professor Franz Walter melden.
Für Wahlkampf ist dieses Thema deutlich zu ernst. Wir wollen und unterstützen daher eine fundierte und neutrale Untersuchung unserer Geschichte von externer wissenschaftlicher Seite. Ziel des Forschungsprojekts ist es, im Jahr 2014 einen öffentlichen und umfassenden Abschlussbericht zu den Vorgängen vorzulegen. Bis dahin werden – wie auch in den letzten Wochen mehrfach geschehen – Zwischenergebnisse zu ersten Erkenntnissen durch die Forscher selbst publiziert. Das Forschungsprojekt ist hinsichtlich seiner Publikationen und seiner Publikationszeitpunkte völlig unabhängig, auch damit nicht der Verdacht entstehen kann, etwaige Erkenntnisse würden bis zum Wahltag zurückgehalten werden. Vorwürfe, wir würden die Aufklärung verzögern oder nicht offensiv vorantreiben, sind deshalb falsch.“
Politologe Franz Walter: Pädophilie-Zirkel quer durch die Gesellschaft
Pädophile Gruppen haben nach Ansicht des Göttinger Politologen Franz Walter, der die Unterwanderung der Grünen durch Pädophile untersucht, schon lange vor Gründung der Grünen seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre Einfluss auf die Gesellschaft genommen. „Organisierte Pädophilie-Zirkel formierten sich politisch dann ab 1977“, sagte Walter. Für liberale Korrekturen des Sexualstrafrechts hätten sich seinerzeit eher Bürgerrechtsjuristen aus dem Umfeld der Freien Demokraten und der Humanistischen Union stark gemacht. Vieles davon sei dann in die grüne Partei eingeflossen, radikalisiert über alternative Subkulturen.
Fehler-Einsicht bei Trittin und Göring-Eckardt
Jürgen Trittin selbst äußerste sich so: „Ich bin presserechtlich verantwortlich für das Programm der damaligen Alternativ-Grünen Initiativen-Liste gewesen und in diesem Programm stand die Forderung der damaligen Homosexuellen Aktion Göttingen genauso aufgelistet. Das ist falsch gewesen. Das ist ein Fehler gewesen, das haben wir an verschiedener Stelle so deutlich gesagt. Missbrauch kann nicht toleriert werden und deswegen ist dies übrigens auch schon vor gut 25 Jahren von den Grünen korrigiert worden. In dem Programm stehen noch ein paar andere Dinge, die ich heute in dieser Form auch nicht mehr so vertreten würde.“
Reue und Erschütterung auch bei der Spitzenkandidatin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Dennoch will sie den Pädophilen-Skandal ihrer Partei nicht einfach so als Wahlkampf-Thema hinnehmen.
In einem Antwortschreiben auf einen Protestbrief junger Frauen aus CDU und CSU, der der Bild-Zeitung vorliegt, schreibt Göring-Eckardt: „Als Mutter, als die Sie mich ansprechen, vor allem aber als Spitzenkandidatin von Bündnis90/Die Grünen sage ich Ihnen, dass sich die Grünen vor mehr als 30 Jahren schrecklich verirrt haben. Ich sage Ihnen aber ebenso klar: Hören Sie endlich auf, mit diesem Thema Wahlkampf zu machen!“
Es habe damals „falsch verstandene Toleranz gegenüber pädophilen Liberalisierungsversuchen“ in ihrer Partei gegeben.
„Diese für uns schmerzliche Einsicht ändert aber nichts daran, dass auch die überkommene Sexualmoral der alten Bundesrepublik, um die es generell in den Liberalisierungsdebatten der damaligen Zeit ging, viel Leid verursacht hat. Es tut uns und mir unendlich leid und in der Seele weh, dass im Rahmen einer Liberalisierungsdebatte, die Macht- und Gewaltverhältnisse in Frage stellen wollte, auch versucht wurde, neue Gewaltverhältnisse zu legitimieren.“ (cli)
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