Landau – Wie viele Kinder können eigentlich schwimmen? Die Diskussion kam zuletzt Ende letzten Jahres wieder auf. Das Ergebnis: Immer noch beherrschen zu wenige Kinder das Schwimmer sicher.
Unter anderem hat der Kreis Germersheim eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Rolf H. Epple führte für den Pfalz-Express ein Interview mit dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter im Institut für Sportwissenschaften an der Universität Landau und ehemaligen Mitglied der Deutschen Schwimmnationalmannschaft (DSV), Ralf Eggers.
Herr Eggers, mit der Eröffnung der Freibadsaison im Frühjahr wird die Diskussion um das Schwimmen unsere Kinder wieder aufkommen. Sie haben kürzlich eine Untersuchung dazu durchgeführt. Können Sie den Lesern des Pfalz-Express einen Einblick dazu geben?
Die Diskussion über Anfängerschwimmen und sicher Schwimmen können ist ein schon über viele Jahre immer wiederkehrendes Thema. Es müssen viele Akteure gemeinsam aktiv werden, damit die Situation verbessert werden kann. Und eben dies macht das Ganze mitunter so schwierig.
Es steht außer Frage, dass unsere Kinder so früh wie möglich schwimmen lernen sollen und in der weiterführenden Schule sicher schwimmen können. Es kursieren immer wieder und zum Teil unterschiedliche Zahlen, wie viele Nichtschwimmer es bei den Grundschulkindern gibt.
Diese erhobenen Werte basieren meist auf Befragungen. Das Institut für Sportwissenschaften der Universität Landau hat in Kooperation mit dem Landkreis Germersheim genauer hingeschaut. Nicht über Befragungen zur Einschätzung der Schwimmfähigkeit der Kinder, sondern über valide Beurteilungskriterien wurden über 250 Kinder im Schwimmbad beurteilt.
In der Untersuchung wurde zwischen Anfängern (Nichtschwimmer), „Halbschwimmern“ und Schwimmern unterschieden. Als Halbschwimmer werden Kinder eingestuft, wenn sie das bekannte Schwimmabzeichen „Seepferdchen“ erfolgreich absolviert haben. Können 200 Meter Schwimmstrecke ohne Pause innerhalb von 15 Minuten absolviert werden, dann kann von einer guten Schwimmfähigkeit ausgegangen werden.
Welche konkreten Ergebnisse hat dabei Ihre Untersuchung ergeben?
Diejenigen, die sich nicht selbständig und zielgerichtet über eine kurze Distanz an der Wasseroberfläche halten können, sind der Gruppe Nichtschwimmer zuzuordnen. Die Abbildung zeigt, dass insgesamt 60 Kinder (35 Jungs und 25 Mädchen) den Nichtschwimmern/Anfängern zugeordnet werden können. Das entspricht einem Anteil von 24 Prozent. Dies ist insofern erfreulich, weil dieser Wert deutlich untern den allgemein postulierten Werten von etwa 50 Prozent liegt.
Dennoch muss konstatiert werden, dass die Kinder am Ende der Grundschule schwimmen können sollten. Dieses Ziel, dass ein Kind mit rund 10 Lebensjahren schwimmen können soll, wird auch in dieser Studie verfehlt.
In den allgemeinen Studien lässt sich oft nachlesen, dass ca. 50 Prozent aller Grundschulkinder nicht schwimmen können. Wie Sie gesagt haben, sind es bei Ihnen nur rund ein Viertel der Teilnehmer. Wie kommt diese Abweichung zustande?
Sich zielgerichtet im Wasser fortbewegen konnten sich 15 Prozent der untersuchten Kinder (Halbschwimmer). Diese Kinder sind auch zum Test über eine Schwimmstrecke von 200 Metern angetreten, jedoch konnte niemand diese Strecke erfolgreich durchschwimmen.
Durchschnittlich sind diese Mädchen lediglich 56 Meter (28 Prozent ) und die Jungs 62 Meter (31 Prozent) der geforderten Strecke von 200 Metern geschwommen. Der ermüdungsbedingte Abbruch ist dabei sehr deutlich auf die mangelnde Technik zurückzuführen. Die Grobform ist nur rudimentär vorhanden und mögliche vorhandene Stärken können andere gravierende Technikfehler nicht kompensieren. Diese Kinder können somit nicht als sichere Schwimmer bezeichnet werden. Wir bezeichnen diesen Leistungsstand als Halbschwimmer.
61 Prozent der untersuchten Kinder haben die Strecke von 200 Metern in der Zeitvorgabe von 15 Minuten (Schwimmabzeichen Bronze) absolviert und können allgemeingültig als Schwimmer bezeichnet werden. Jedoch hat sich auch gezeigt, dass Zeiten von über 10 Minuten für die 200 Meter noch mit erheblichen technischen Mängeln gekoppelt sind. Von sicherem Schwimmen sollte dabei nicht gesprochen werden.
Insofern muss über die Definition des „sicher schwimmen können“ nicht nur diskutiert, sondern auch eine anerkannte Formulierung gefunden werden.
Welche Rückschlüsse müssen nach Ihrer Meinung für eine Verbesserung der Situation gezogen werden?
Es bestehen ganz unterschiedliche Faktoren, die den Schwimmunterricht in den Grundschulen und den weiterführenden Schulen nicht oder nur bedingt zulassen. Im Wesentlichen müssen aus meiner Sicht sechs Punkte für eine Verbesserung berücksichtigt werden, die ineinander greifen müssen.
- Ein geeignetes Schwimmbad in einem annehmbaren Umkreis. Damit eine hinreichende Nettounterrichtszeit den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung steht, muss das Schwimmbad in maximal 15 Minuten mit dem Bus erreichbar sein. Ebenso muss das Schwimmbad witterungsunabhängig, also ein Hallenbad sein. Denn selbst in den Sommermonaten kann in einem Freibad kein regelmäßiger Schwimmunterricht garantiert werden. Die Kontinuität ist für das Erlernen des Schwimmens von besondere Bedeutung.
- Ausreichend Schwimmlehrkräfte mit Unterrichtserlaubnis an den Schulen. Viele Schulen, besonders die Grundschulen, haben oftmals keine Fachkraft mit der Lehrbefähigung Schwimmen. Auch können die Schulen die vorhandene Lehrkraft aufgrund anderer Tätigkeiten im Schulbetrieb nicht für das Schwimmen einteilen.
- Der Wille der Schulen, im Sportunterricht Schwimmen anbieten zu wollen und die Kenntnis über die Organisations- und Finanzierungsmöglichkeiten, Schulungen und eine koordinierende Unterstützung sind hierbei hilfreich.
- Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen müssen durch Institutionen wie die Grundschullehrerausbildung Sport an den Universitäten forciert werden. Die Zuteilungen der qualifizierten Lehrer mit der Unterrichtserlaubnis Schwimmen sollte systematisch und bedarfsbedingt erfolgen.
- Die Politik ist für die Infrastruktur verantwortlich. Sicherlich eine der großen Herausforderungen, da hier die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Mehr geeignete und funktional ausgelegte Schwimmbäder oder Wasserflächen ermöglichen erst den gewollten flächendeckenden Schwimmunterricht. Auch private Anbieter, sowie Vereine könnten die langen Wartezeiten für einen Schwimmkurs reduzieren. Die Angebotsvielfalt könnte dadurch zugleich für die Allgemeinheit und für jedes Alter erhöht werden.
- Die Eltern müssen ebenfalls mit in die Verantwortung gezogen werden. Der Bildungsauftrag Schwimmen ist zwar über den Rahmenplan in den Schulen verankert, entlässt aber nicht zugleich die Eltern. Privates Engagement, aber auch der Zugriff auf private Anbieter und Vereine sind Teile des Erfolgs.
Wie schätzen Sie die Chance ein, dass zukünftig mehr Schwimmunterricht stattfinden kann und dadurch auch mehr Kinder zum sicheren Schwimmen herangeführt werden können?
Anfang Dezember 2019 hat eine Fachtagung „Schwimmen Lehren und Lernen in der Grundschule“ stattgefunden. Hier haben sich Experten auf ein gemeinsames Papier zur Förderung zum Schwimmen lernen verständigt. Und dies soll bundesweit gelten. Ein wichtiger Schritt.
Bekräftigt werden die Aktivitäten durch eine gemeinsame Erklärung der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) und des Bundesverbands zur Förderung der Schwimmausbildung (BFS). Sie „stimmen darin überein, dass Sicher Schwimmen können ein wichtiges Kulturgut darstellt und für alle Schülerinnen und Schüler als motorische Basiskompetenz zu verstehen ist.“ Besonders wird dabei darauf hingewiesen, dass “für den Erhalt einer geeigneten Bäderstruktur und den Einsatz eines fachlich qualifizierten Personals“, eingetreten wird.
Aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Fundament. In der praktischen Umsetzung muss aber auch bedacht werden, dass die momentane Infrastruktur für die ambitionierten Ziele oftmals nicht hinreichend vorhanden ist. Ein komplexer Weg der dabei gegangen werden muss. Aber momentan sind ganz viele Akteure dabei das Thema Schwimmen lernen ernsthaft anzugehen. So zumindest mein Eindruck, der mich zuversichtlich stimmt.
Zur Person
Ralf Eggers, Jahrgang 1968, verheiratet, drei Kinder
– Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Sportwissenschaften an der Universität Landau
– Ehemaliges Mitglied der Deutschen Schwimmnationalmannschaft (DSV)
– Vizeeuropameister im Brustschwimmen
– Langjähriger Trainer von Olympiateilnehmer Helge Meeuwe
– Ehemaliger Nationaltrainer (Schwimmen) von Kuwait
– Stellvertretender Vorsitzender des SSC Landau mit über 1.200 Mitgliedern
– Stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Landau
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