Tübingen – Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) muss einen Parteiausschluss fürchten.
Auf einer ohnehin schon angesetzten Landesdelegiertenkonferenz stimmten 76 Prozent am Samstag für einen Initiativantrag, ein „Parteiordnungsverfahren“ gegen Palmer einzuleiten. 21 Prozent stimmten dagegen, vier Prozent enthielten sich. Palmer hatte erst kurz zuvor mit Äußerungen auf Facebook für Aufregung gesorgt, die von ihm als Satire bezeichnet, von Grünen-Chefin Baerbock hingegen als „rassistisch“ eingestuft wurden. Unter anderem hatte er Ex-Nationalspieler Dennis Aogo als „schlimmen Rassist“ bezeichnet.
Palmer hatte zugeschaltet auf der Landesdelegiertenkonferenz argumentiert, er habe Aogo verteidigen wollen. Der war seinerseits gerade in eine Affäre verwickelt: Als Fußball-Experte hatte er bei einer Live-Übertragung vom „Trainieren bis zum Vergasen“ gesprochen. Palmer hatte sich auf Facebook zur Kritik an den Ex-Nationalspielern Jens Lehmann und Dennis Aogo geäußert und sie vor einem Rassismus-Vorwurf in Schutz nehmen wollen. Als ein Facebook-Nutzer ihm vorwarf, Rassismus zu relativieren, schrieb Palmer: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen N****schwanz (im Original ist das Wort ausgeschrieben, Anm. d. Red.) angeboten.“ Damit bezog sich Palmer auf einen seit Tagen im Netz kursierenden, aber nicht verifizierten Facebook-Kommentar, in dem eine Nutzerin Aogo unterstellte, mit einem ähnlichen Spruch eine Frau angesprochen zu haben.
Palmer will sich in dem gegen ihn beantragten Parteiausschlussverfahren verteidigen. „Ich werde mich dem stellen, und sei es der letzte Dienst, den ich meiner Partei tun kann“, schreibt Palmer in der „Welt am Sonntag“. „Ich kann Ächtung und Existenzvernichtung wegen angeblich falscher Wortwahl niemals akzeptieren“. Das beschädige den Kern der liberalen Demokratie. In der Auseinandersetzung über das Bildschirmverbot des Ex-Nationalspielers Dennis Aogo habe er am Freitagnachmittag im Internet kursierende Vorwürfe lediglich so absurd übersteigert, dass jedem verständigen Leser klar sei, was seine Absicht war: „Mit dem Stilmittel der Satire aufzeigen, wie heutzutage vollkommen haltlose Rassismusvorwürfe wirklich jedem zu Verhängnis werden können.“
Weiter argumentiert er: „Denunzianten zerrten das in die Twitterwelt, beseitigten den Kontext und keine 24 Stunden später hat ein Parteitag ein Ausschlussverfahren gegen mich eingeleitet.“ Palmer beklagt in seinem Gastbeitrag ein um sich greifendes Jakobinertum der „Generation beleidigt“ (sagte Schriftstellerin Caroline Fourest) und der „selbstgerechten Lifestylelinken“ (sagte Sarah Wagenknecht, Die Linke), was sich zu einer ernsthaften Gefahr für die offene Gesellschaft entwickele. „Dem entgegenzutreten halte ich für eine Bürgerpflicht. Und einen ökologischen Imperativ. Nur eine liberale grüne Partei kann hoffen, dieses Land erfolgreich in die Zukunft zu führen“, schreibt Palmer.
Rückendeckung bekommt er aus der FDP. Dessen Vize Wolfgang Kubicki sagte den Funke-Zeitungen, er könne zwar die Reaktion der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nachvollziehen, „da die Äußerung von Boris Palmer mehr als eine Provokation gewesen ist“, allerdings sei das eingeleitete Parteiausschlussverfahren „definitiv überzogen“. Kubicki äußerte die Erwartung, dass die Führungsfähigkeiten Baerbocks in den kommenden Monaten „mehr denn je gefragt sind“. Baerbock hatte Palmer zuvor vorgeworfen, sich „rassistisch und abstoßend“ geäußert zu haben. „Nach dem erneuten Vorfall beraten unsere Landes- und Bundesgremien über die entsprechenden Konsequenzen, inklusive Ausschlussverfahren“, sagte Baerbock.
Palmer gilt schon seit Jahren als „Enfant Terrible“ bei den Grünen. In den letzten Monaten hatte er sich im Zuge der Coronakrise als Oberbürgermeister von Tübingen aber bundesweit Anerkennung für sein Krisenmanagement erarbeitet. Die Stadt kam zeitweise deutlich besser durch die Pandemie als der Rest des Landes, gleichzeitig gab es gewisse Lockerungen. (dts Nachrichtenagentur/red)
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