Berlin – Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, rechnet mit einem Scheitern des seit Mittwoch geltenden harten Lockdowns.
„Ich gehe nicht davon aus, dass wir bis zum 10. Januar eine relevante Absenkung der Infektionsraten und schon gar nicht der Todesfälle erreichen werden“, sagte Gassen dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Daran werde auch eine Verlängerung nichts ändern. „Es ist schwer vorstellbar, dass der von der Politik als Messlatte genannte Wert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen durch diesen Lockdown nachhaltig unterschritten werden wird – egal, ob der Lockdown nun drei oder zehn Wochen dauert“, fügte der Kassenarzt-Chef hinzu.
„Ein Lockdown, egal wie hart, ist keine geeignete langfristige Strategie in der Pandemiebekämpfung.“ Gassen forderte stattdessen mehr Anstrengungen, um die Risikogruppen zu schützen. „Wir müssen diese fürchterlichen Todeszahlen in den Alten- und Pflegeheimen senken“, sagte er.
„Wenn nun neben den Gaststätten für einige Wochen auch Möbelhäuser oder Baumärkte geschlossen werden, hat das auf das Infektionsrisiko von Pflegeheimbewohnern allerdings unmittelbar keinen Einfluss.“
Man brauche unverändert eine Langfriststrategie, verlangte er. Dazu gehöre, dass das Personal in den Alten- und Pflegeheimen täglich getestet werde. Zudem dürfe kein Besucher ein Heim ohne negativen Schnelltest betreten.
In einer Langfriststrategie müsse es darum gehen, die Kontakte zu reduzieren oder sicherer zu machen, ohne das öffentliche Leben lahm zu legen. „Ansonsten sind die Kollateralschäden für die Gesellschaft, für unsere Kinder und auch für die Wirtschaft viel zu hoch“. Es müsse darum gehen, Menschenströme zu entzerren, zum Beispiel durch den Einsatz von mehr Bussen und Bahnen sowie subventionierten Taxifahrten für Risikogruppen.
„Der öffentliche Personennahverkehr ist doch derzeit ein einziger Hotspot“, beklagte er. Gassen forderte zudem, über eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zu sprechen, um die Kundenströme zu entzerren.
Gassen kritisierte zudem die Debattenkultur bei Entscheidungen über den Umgang mit der Pandemie: „Es gibt gefühlt nur noch Schwarz und Weiß.“ Man sei kaum mehr in der Lage, einen rational ausgewogenen Diskurs zu führen, beklagte er.
„Wer die politischen Entscheidungen kritisiert, auf den wird gleich verbal eingeprügelt – offenbar auch deshalb, weil die Befürworter selbst wissen, dass das alles nicht der Weisheit letzter Schluss ist“, fügte er hinzu. So dürfe es nicht weitergehen. (dts Nachrichtenagentur)
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