Sonntag, 22. September 2024

Kandel: Schüler reinigen Stolpersteine und gedenken der jüdischen Opfer der Reichspogromnacht

6. November 2023 | Kategorie: Kreis Germersheim

Stolperstein für Bertha Haas.
Foto: Pfalz-Express/Licht

Kandel – Die Schrecken der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 sind angesichts der aktuellen Konflikte in Palästina wieder präsent. Damals wurden die jüdischen Bürger in Kandel brutal verfolgt und vertrieben.

Um an ihr Schicksal zu erinnern, hat der Künstler Gunter Demnig im Jahr 2012 Stolpersteine vor ihren ehemaligen Wohnhäusern verlegt. Die Stolpersteine sind kleine Messingplatten, die die Namen und Lebensdaten der Opfer tragen. Die Verlegung der Stolpersteine wurde durch einen einstimmigen Beschluss im Stadtrat und die Finanzierung durch die Fraktionen ermöglicht.

Das tragische Schicksal der Familie Haas

Eine dieser Familien war die Familie Haas, die in der Rheinstraße 16 einen Handel mit Futtermitteln und landwirtschaftlichem Bedarf führte. In der Reichspogromnacht wurde ihr Haus von den Nazis zerstört und geplündert. Die Fenster und Türen wurden eingeschlagen, das Mobiliar und die Verkaufsware auf die Straße geworfen, Kleidung und Hausrat zerstört.

Die Familie floh nach Karlsruhe, wo sie später deportiert wurde. Nur zwei von ihnen überlebten und konnten in die USA fliehen. Die Stolpersteine für Ida und ihren Bruder Oskar Haas, dessen Ehefrau Bertha, geb. Vollmer und deren Kinder Otto Julius und Paul Richard liegen vor ihrem ehemaligen Haus in der Rheinstraße. Ida Haas verstarb Anfang 1941 in Gurs, Frankreich, wohin alle badischen und pfälzischen Juden am 22. Oktober 1940 deportiert wurden.

Ihr Bruder Oskar Haas starb sechs Wochen nach der Ankunft in Südfrankreich. Seiner Frau Bertha und Sohn Otto Julius gelang es 1942 zu Sohn und Bruder Paul Richard in die USA auszuwandern. Paul Richard wanderte bereits 1939 dorthin aus.

Der einsame Überlebende Maximilian Samson

Ein weiterer Stolperstein erinnert an Maximilian Samson, der in der Marktstraße lebte, gegenüber der NSDAP-Zentrale. Er war der einzige Jude in Kandel, der in der Schlageterstraße wohnte, die nach einem Freikorpskämpfer benannt war. Er wurde ebenfalls in der Reichspogromnacht verhaftet und nach Dachau gebracht. Er überlebte und kehrte nach Kandel zurück, wo er bis zu seinem Tod 1967 lebte.

Der mutige Nachbar Franz Göltz

Die einzige Person, die der Familie Haas in ihrer Not beistand, war Franz Göltz, ein Nachbar, der sich dem Mob entgegenstellte. Er wurde dafür am 21. November 1938 wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz festgenommen und für zwei oder drei Tage eingesperrt.

Schüleraktion zum Gedenken an die Opfer

Um diese Geschichte nicht zu vergessen, haben Schüler der Integrierten Gesamtschule Kandel eine besondere Aktion geplant. Am Donnerstag, 9. November 2023 um 11 Uhr, werden sie die Stolpersteine in Kandel reinigen und die Hintergründe dazu erläutern.

Die Schüler gehören zur AG Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage, die von Gudrun Kampen geleitet wird. Sie laden die Bevölkerung herzlich ein, sich an der Aktion zu beteiligen und ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus zu setzen.

Genaueres zu den Schicksalen

‚Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist‘, zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Auf den Steinen steht geschrieben: HIER WOHNTE… Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.

Stolpersteine in Kandel, Rheinstraße 16

In diesem Haus in der Rheinstr.16 lebte in den 1930er Jahren die Familie Haas-Vollmer. Sie betrieb dort einen Futtermittelhandel.

Am 9. November 1938 wurde ihr Geschäfts- und Wohnhaus in der Rheinstraße komplett verwüstet, die Fenster und Türen eingeschlagen, das Mobiliar und die Verkaufsware auf die Straße geworfen, Kleidung und Hausrat zerstört.

Die Täter von damals sind namentlich bekannt, ihnen wurde aber nie der Prozess gemacht. Nur ein einziger Mann, Franz Göltz, ein Nachbar, stand Familie Haas damals gegen den Mob bei. ‚Zum Dank’ dafür wurde er am 21. November 1938 „wegen Vergehen gegen das Heimtücke-Gesetz“ festgenommen und für 2 oder 3 Tage eingesperrt. Wo er diese Haft absaß, ist nicht bekannt.

Die Familie Haas-Vollmer wurde nach der Reichspogromnacht nach Karlsruhe verschleppt.

 Zur hier wohnenden Familie gehörten:

 – Ida Haas, am 14. Oktober 1874 geboren, und 1938 64 Jahre alt.

Sie zog nach der Reichspogromnacht gezwungenermaßen nach Karlsruhe und lebte dort zuletzt in der Kaiserstr. 201.

Von dort deportierten sie die Nazis in das Internierungslager Gurs in Frankreich.

Ida Haas starb in Gurs 1941 oder 1942. Ihr Grabstein dort hat die Nr. 953.

Sie war die Schwester von Oskar Haas.

 – Oskar Haas, genannt ‚Oggele’, wurde am 31. Dezember 1875 geboren.

Er war zum Zeitpunkt der Reichspogromnacht 63 Jahre alt. Er wurde verhaftet und am 12. November zur sogenannten Schutzhaft für einige Monate ins KZ Dachau verschleppt.

Nach seiner Freilassung lebte er ebenfalls in Karlsruhe, zunächst in der Marktgrafenstraße 37, später im Oktober 1940 in der Kaiserstr.166.

Am 22. Oktober 1940 wurde Oskar Haas nach Gurs deportiert, wo er 6 Wochen nach der Ankunft verstarb. Sein Grabstein trägt die Nummer 358.

 – Bertha Vollmer war die Ehefrau von Oskar Haas.

Sie wurde am 29. September 1882 in Hagenbach geboren.

Nach der Reichspogromnacht floh sie nach Karlsruhe und lebte dort mit ihrer Familie bis zur Deportation nach Gurs.

Sie überlebte die Zeit im Lager und erhielt mit ihrem Sohn Julius Visa für die USA.

Mit dem Schiff „Nyassa“ emigrierten sie von Lissabon über Casablanca in die USA.

Am 10. Juli 1942 kam das Schiff in Baltimore an.

Bertha Vollmer starb im April 1971 in Atlantic City, New Jersey, USA.

– Ihr Sohn Otto Julius, genannt Julius, wurde am 17. Februar 1909 geboren.

Zum Zeitpunkt der Reichspogromnacht war er 28 Jahre alt.

Mit seiner Mutter floh er zunächst nach Karlsruhe und wurde 1942 mit seinen Eltern nach Gurs deportiert.

Von dort emigrierte er mit seiner Mutter in die USA.

Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

– Sein jüngerer Bruder Paul Richard, genannt Richard, wurde am 15. Juli 1911 geboren.

Richard emigrierte bereits im November 1939 in die USA.

Er trat am 29. September 1942 in die US- Armee ein.

Richard Haas starb am 2. Februar 2009 in Atlantic City, New Jersey, USA.

 Stolperstein in der Marktstr.34:

  • Maximilian Samson: 1872

Maximilian Samson war bis Anfang 1933 Bankvorstand der Volksbank Kandel. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten durfte er seinen Beruf nicht mehr ausüben Er wurde nach der Reichspogromnacht verhaftet und für einige Wochen in das KZ Dachau verschleppt. Dank einiger mutiger Mitbürger überlebte Maximilian Samson die NS-Zeit. Zwei Kandeler holten ihn aus dem bereitstehenden Zug, als er im Oktober 1940 wieder verhaftet werden sollte. Danach wurde er von der Fabrikantenfamilie Just in ihrem Wohnhaus in der Schlageterstraße (heute Marktstraße) versteckt, direkt gegenüber der Parteizentrale der NSDAP.

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