Germersheim: Das Interesse war gewaltig: Bei der „SWR4 Klartext“-Sendung im Deutschen Straßenmuseum zum Thema „Was passiert im US-Depot Germersheim?“ reichten die Stühle nicht aus, viele Zuhörer standen vor dem Saal, um die Diskussion zu verfolgen.
Moderator Thomas Meyer sprach mit Landrat Dr. Fritz Brechtel, Oliver Kalusch (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz), Dietmar Bytzek (Verein/Bürgerinitiative „Kein Gefahrstofflager im US-Depot Germersheim/Lingenfeld“) und den Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern im Verteidigungsausschuss des Bundestags, Dr. Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen) und Thomas Hitschler (SPD) über die Problematik zum Gefahrstofflager im US-Depot in Germersheim.
Dort soll das bestehende Lager vergrößert und auf 1.900 Tonnen erweitert werden. Dazu hat die von der US-Army beauftragte Firma DLA Distribution Europe einen Antrag eingereicht (wir berichteten mehrfach). Dagegen hatte sich im April die „Bürgerinitiative Gefahrstofflager“ gegründet (die mittlerweile ein Verein ist) und hat über 5.000 Unterschriften gesammelt. Zuständig für das Genehmigungsverfahren ist die Kreisverwaltung.
Die Bevölkerung in Germersheim, Lingenfeld und auch im 3,4 Kilometer entfernten baden-württembergischen Philippsburg auf der anderen Rheinseite ist besorgt – zumal die Amerikaner augenscheinlich Transparenz bezüglich der zu lagernden Stoff vermissen lassen.
Kein Army-Vertreter dabei
Zur Diskussion war kein Vertreter der DLA erscheinen. Auch vom „BAIUDBw“, dem Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr, das für die Überwachung des Lagers zuständig ist – die Behörde mit dem „unaussprechlichen Namen“, wie öfter am Abend zu hören war – war niemand gekommen. Auch von der Landesregierung nicht; die sei erst zuständig, wenn die Genehmigung erteilt worden sei, hieß es.
Keine Transparenz
Die Bundeswehr habe auf detaillierte Nachfrage keine Antwort für nötig gehalten, sagte Dietmar Bytzek. Das Lager werde vom BAIUDBw nicht überwacht, das sei ein „Unding“, was einer „kriminellen Handlung“ gleichkäme.
Alle Gesprächsteilnehmer beklagten eine mangelnde Transparenz bei den Amerikanern. Im Antrag ist die Rede von Fetten, Ölen oder Schmierstoffen. Exemplarisch werden auch einige „giftige, sehr giftige, brennbare und explosive Stoffe“ genannt – „exemplarisch“, das reiche nicht, sagten Buytzek und Kalusch.
Man brauche die physikalischen Daten und die Namen von allen Stoffen. Da gebe es viele Defizite und erheblich Mängel: „Bislang stochern wir nur im Nebel.“ Im Antrag stehe, die Erweiterung des Depot geschehe aufgrund der „aktuellen Krisenlage“, so Bytzek. Das lasse tief blicken.
Störfallverordnung „erbitten“
Ein weiteres Problem ist die Störfallverordnung im deutschen Gesetz, die aber nicht für militärische Anlagen gilt. Die US-Army versichert zwar, sich an Recht und Gesetz zu halten. Dass sie aber hinter verschlossenen Türen dennoch tut, was sie will, ist die große Befürchtung.
Tobias Lindner erklärte, das US-Gelände sei kein exterritoriales Gebiet. Landrat Brechtel sieht deshalb auch keinen Grund, weshalb sich das Militär nicht an die Störfallverordnung halten müsste. Auch die Umweltverträglichkeitsprüfung sollten die Amerikaner mitmachen.
Dazu anweisen kann man sie aber nicht, sondern lediglich „bitten“. Das stehe so im Bundesemissionsschutzgesetz, erklärte der Landrat: „Das muss die Politik ändern.“
Ziemlich pessimistisch äußerte sich Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus, der im Publikum saß. Es gebe kein Zutrauen und Vertrauen in die Army mehr, überhaupt nachdem diese eine Untersuchung zu einer möglichen Grundwasserverunreinigung verhindert habe.
Mehr Druck in der Politik
Immer wieder kam der Ruf auch aus dem Publikum nach mehr Druck auf höchster politischer Ebene. Lindner und Hitschler versicherten, dass man in Gesprächen mit der Verteidigungsministerin und mit hochrangigen Stellen im US-Militär sei und auch nicht nachlassen werde. Sie bekamen mit auf den Weg, dass die Gesetzeslage dringend geändert werden müsse.
Das dauere zu lange, meldete sich der AfD-Landtagsabgeordnete Matthias Joa aus dem Publikum zu Wort und schlug vor, zu fordern, dass die US-Army auf die 50 Tonnen hochgiftiger Stoffe verzichten solle.
Landrat Brechtel sagte, man sei auf beiden Wegen unterwegs, sowohl auf übergeordneten politischen Ebenen als auch auf der verwaltungstechnischen. Die Störfallverordnung müsse geändert werden und künftig auch das Militär einbeziehen.
Die Überwachung des Lagers solle so gestaltet werden, dass sie auch funktioniert, zum Beispiel – wie von Kalusch und Bytzek angemahnt – mit häufigeren und vor allen Dingen unangekündigten Kontrollen. Das ist bislang nicht möglich, Kontrollen werden Wochen zuvor angekündigt.
Letztendlich dürfe im Emissionsschutzgesetz nicht „bitten“, sondern „fordern“ stehen. Kurzfristig müsse man allerdings auf Freiwilligkeit der US-Army setzen, sagte Brechtel, immer wieder Gespräche führen und daran appellieren.
Entscheidung dauert noch
Die Army hat die Antragsunterlagen von der Kreisverwaltung zurückgeschickt bekommen mit der Aufforderung, diese bis Ende November zu aktualisieren. Anschließend will die Kreisverwaltung die Unterlagen den Fachbehörden zur Prüfung zu schicken. Danach prüft die Verwaltung selbst und will zudem externe Gutachter hinzuziehen. Sollte dann eine Lösung in Sicht seien, wird wieder ein öffentlicher Erörterungstermin stattfinden, erklärte Brechtel.
Einen konkreten Entscheidungstermin sieht Brechtel frühestens in einem halben bis in einem Jahr. Das hänge von der Prüfung des Antrags ab, Qualität gehe vor Dringlichkeit, so der Kreischef.
„Auch Ablehnung des Antrags denkbar“
Brechtel sagte, es sei sehr wohl denkbar, dass die Kreisverwaltung den Antrag nicht genehmigen werde (was mit viel Applaus quittiert wurde). Das hänge von den Ergebnissen der Fachbehörden und der externen Gutachter ab. Die Möglichkeiten bestünden aus „Genehmigen, Genehmigen mit Auflagen oder einer Ablehnung“.
Bevölkerung hat viele Bedenken
Ein Zuhörer aus dem Publikum stellte die Frage, wie man die Betriebsgenehmigung für das US-Depot komplett entziehen könne. Das gehe – wenn überhaupt – nur bei einem schweren Verstoß gegen die Vorschriften, der auch nach mehrmaliger Verbesserungsaufforderung nicht behoben würde, sagte Oliver Kalusch. Zuständig dafür wäre die Struktur- und Genehmigungsbehörde Süd (SGD).
Dietmar Bytzek erklärte, er habe bereits einen Antrag auf Schließung der Anlage gestellt. Dieser sei von der Kreisverwaltung an die SGD Süd weitergeleitet worden, versicherte ein Mitarbeiter Brechtels. Dass eine Schließung nicht so einfach ist, machte der Landrat deutlich, schließlich seien Dritte (die US-Army) beteiligt.
Aus dem Publikum kamen weitere Bedenken. Lingenfelds Bürgermeister Erwin Leuthner äußerte erneut schweres Missfallen wegen des Gefahrgutverkehrs („250 LKW am Tag“), ein anderer Zuhörern sorgte sich um die Zusammenarbeit der Kreisfeuerwehren und der Feuerwehr auf dem Betriebsgelände der Army oder um zu weite Anfahrtswege für Spezialkräfte, sollte es zu einem Giftunfall oder einer schweren Explosion kommen.
Chancen 50 zu 50?
Am Schluss der Diskussion bat Moderator Meyer um eine Prognose zum Ausgang des Genehmigungsverfahrens.
Tobias Lindner sagte, habe große Zweifel, ob der Antrag genehmigungsfähig sei. Sowieso sei das Lager viel zu groß konzipiert.
Thomas Hitschler setzt darauf, dass es gelingt, die ganzen Bestimmungen in das Verfahren einzubinden. Er habe aber Vertrauen zu der Kreisverwaltung. Die Chefin des BAIUDBw, die das Anliegen vor einigen Wochen zur „Chefsache“ erklärt habe, wolle er beim Wort nehmen.
Oliver Kalusch, der schon viele Verfahren dieser Art begleitet hat, bleibt skeptisch. Zwar sei der Antrag seiner Meinung nach nicht genehmigungsfähig und dürfe keine Aussicht auf Erfolg haben: „Aber die Chancen stehen wohl 50 zu 50.“
Dietmar Bytzek und der Verein „BI Gefahrstofflager“ hoffen selbstredend, dass der Antrag abgelehnt wird. Die Armee solle sich andere Standorte suchen, die nicht direkt in einem bevölkerten Gebiet liegen. Sollte etwas passieren, werde er Strafanzeige stellen.
Der Landrat selbst als Mitentscheider wurde nicht nach einer Prognose gefragt, dafür von seinen Gesprächspartnern ob der großen Verantwortung in dieser Sache als „ärmste Sau“ und „armer Wicht“ bedacht.
So sehe er sich aber ganz und gar nicht, versicherte Brechtel. Er habe ein sehr schönes und sehr interessantes Amt. Dies sei nicht die erste schwere Entscheidung, die er habe treffen müssen, so der Kreischef und verwies auf die erfolgreich verhinderte Keulungsanordnung wegen Vogelgrippe im Rassegeflügelzuchtverein in Wörth.
Brechtel lobte die Bürgerinitiative und das Interesse der Bürger: „Das wird uns in der Politik den Rücken stärken.“ (cli)
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In dem Artikel und der gegenwärtigen Diskussion wird der Fokus auf das 70 to Gefahrenstofflager im US-Depot (Gebäude 7915) gelegt, das auf 1.900 to erweitert werden soll. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass es bereits ein weiteres Gefahrenstofflager im US-Depot (Gebäude 7983) gibt, für das die Kreisverwaltung mit Genehmigungsbescheid vom 19.10.2009 eine Betriebsgenehmigung zur Lagerung weiterer 1.200 to Gefahrstoffe erteilt hat. Das ist noch gar nicht so lange her.
Der damalige Antrag wurde vom US-Depot gestellt und ohne mir bekannte öffentliche Diskussion genehmigt. Genau das wäre nun auch wieder mit dem gegenwärtigen zweiten Erweiterungsantrag geschehen, wenn nicht die Rheinpfalz und der Pfalz Express öffentlichkeitswirksam und umfangreich über die geplante Erweiterung des Gefahrstofflagers im US-Depot berichtet hätte. Damit hat sie sachkundige Menschen auf den Plan gerufen, ohne die wir heute keine Bürgerinitiative hätten. Wir würden dann gegenwärtig nicht über das Lager, auch in einer SWR4-Podiumsdiskussion, diskutieren, sondern die zweite Lagererweiterung wäre bereits ohne größeres Aufhebens genehmigt.
Wir reden also hier nicht über eine Erweiterung der Gefahrstofflagerkapazität von 70 auf 1.900 to im US-Depot Germersheim/Lingenfeld, sondern von gegenwärtig 1.270 auf nun 3.100 to, wovon zusätzlich noch die Lagerung von 50 to hochgiftiger Substanzen in Reinform beantragt ist. Das sollte allen Beteiligten bewusst sein.
Während nun der aktuelle Erweiterungsantrag aufgrund der zahlreichen fundierten Einwendungen detailliert untersucht wird und entsprechende Facheinheiten hinzugezogen werden, stellt sich die Frage, was eigentlich bei dem ersten Erweiterungsantrag genau bewilligt wurde. Die Nachbargemeinde Philippsburg wurde entgegen üblicher Gepflogenheiten damals zumindest nicht angehört. Die vom Vorsitzenden der Bürgerinitiative beantragte Einsicht in die Akten der ersten Erweiterung wurde von der Kreisverwaltung nach drei Monaten immer noch nicht ermöglicht. Diese Einsichtnahme könnte noch so manche Überraschung zu Tage fördern, da gegenwärtig der Öffentlichkeit gar nicht bekannt ist, welche Gefahrenstoffe damals zur Lagerung konkret beantragt wurden und was genau genehmigt wurde.
Im Hinblick auf die Sicherheit der Menschen muss also augenblicklich festgestellt werden, dass es keine bzw. nur eine sehr unzureichende Kontrolle der zuständigen Bundeswehreinheit BAIUDBw gibt, dass wir nicht wissen was gelagert wird und wie es gelagert wird, und wir wissen, dass es kein Notfallkonzept gibt. Und das Gravierenste: Wir haben in der US-Army einen Partner, dem die Begriffe Transparenz, Offenheit und Sicherheitsszenarien offenbar Fremdwörter sind.
Natürlich ist das gegenwärtige Genehmigungsverfahren ein hochkomplexes Verfahren, bei dem viele juristische Spitzfindigkeiten zu bewerten sind, aber ich will es einmal umgangssprachlich formulieren: Wir müssten doch alle ziemlich blöd sein, einem solchen Erweiterungsantrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu entsprechen.
Zunächst gilt es das Bewusstsein unserer amerikanischen Freunde vor Ort zu verändern. Es muss verdeutlicht werden, das seit 1990 das US-Depot ebenso wie ein Werk z.B. der BASF vollumfänglich deutschem Recht zu entsprechen hat, und dass das US-Depotgelände kein exterritoriales Gelände mehr ist. Wenn dieses Bewusstsein nicht vorhanden ist, haben die deutschen Aufsichtsbehörden hier Hilfestellungen zu leisten. Erst wenn die erforderliche Transparenz und ein effektives Sicherheitsmanagement für die Kontrolleinheiten und somit auch den lokalen Behörden ersichtlich ist, schafft dieses auch Vertrauen in der Bevölkerung. Erst dann kann man über eine Erweiterung nachdenken. Zum jetzigen Zeitpunkt und unter den derzeitigen Rahmenbedingungen steht das für mich außer Frage.