Mittwoch, 23. Oktober 2024

Gedenkgang in Germersheim: Erinnerung an die Deportation jüdischer Familien vor 84 Jahren – „Nie wieder Diskriminierung – Unterdrückung – Mord“

23. Oktober 2024 | Kategorie: Kreis Germersheim

An jedem Haus wurde die Geschichte verlas Rüdiger Ehrsam die Biografie der deportierten Familie.
Foto: Joachim Reinhard

Germersheim – Am 22. Oktober 2024 fand in Germersheim ein Gedenkgang statt, der an die Deportation der letzten jüdischen Familien aus der Stadt am gleichen Tag im Jahr 1940 erinnerte.

Organisiert wurde die Veranstaltung von der Bürgerinitiative „Rettet Haus Kahn“, die sich für den Erhalt historischer Orte in Germersheim einsetzt. Vorsitzender Rüdiger Ehrsam hielt dabei eine eindringliche Rede, in der er die Schicksale der Familien Mohr, Rosenbaum/Rosenthal, Kahn/Ebert und Töpfer schilderte.

Ziya Yüksel, Vorsitzender des Beirats für Migration und Integration (BMI), richtete vor Beginn der Veranstaltung ebenfalls einige Worte an die Versammelten. Er erinnerte dabei an die bevorstehende Wahl der Migrationsbeiräte und betonte die Bedeutung von Mitbestimmung und Integration in der Gesellschaft.

Foto: Joachim Reinhard

„Nie wieder Diskriminierung – Unterdrückung – Mord“

Der Gedenkgang, der am Nardiniplatz startete, stand unter dem Motto „Nie wieder Diskriminierung – Unterdrückung – Mord“. Ehrsam hob in seiner Rede hervor, dass Diskriminierung oft lange vor direkter Verfolgung beginne. Bereits im 19. Jahrhundert seien jüdische Bürger von Berufen und sozialem Aufstieg ausgeschlossen worden, eine Entwicklung, die sich durch den rassistischen Antisemitismus weiter verschärfte. Diese Ausgrenzung sei nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft verankert gewesen, sondern habe sich bis in die bürgerliche Mitte erstreckt.

Ehrsam stellte Verbindungen zu heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen her und betonte, dass Minderheiten wie Migranten in ähnlicher Weise für viele Probleme verantwortlich gemacht würden. „Der berühmte Komponist Friedrich Hollaender, selbst jüdischer Abstammung, hat es 1931 in der Revue ´Spuk in der Villa Stern auf den Punkt gebracht mit dem Lied ´Die Juden sind an allem schuld´. Und heute? Nicht wenige sehen, dass heute ´die Migranten sind an allem schuld´ beinahe zu einem gängigen Erklärungsmuster für beinahe alle Probleme unseres Landes geworden ist; nicht nur vom rechten Rand, sondern wiederum bis hinein in die bürgerliche Mitte“, so Ehrsam.

Foto: Joachim Reinhard

Er zitierte den katholischen Bischof Feige, der gewarnt hatte: „Ich habe heute weniger Angst vor Migranten, als vor dem Verlust der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft.“

In seiner Ansprache ging Ehrsam auch auf die Unterdrückung während der NS-Zeit ein, die von der Diskriminierung zur gezielten Ausgrenzung und Verfolgung führte. Jüdische Geschäfte wurden boykottiert, Menschen aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen und ihre Rechte drastisch beschnitten. Auch heute gebe es weiterhin Menschen, die aufgrund ihrer Religion, ihres Aussehens oder ihrer Identität Angst vor Gewalt hätten.

Ehrsam warnte vor den Gefahren, die Hass und Hetze – insbesondere im Internet – in der realen Welt entfachen können. Er betonte, dass viele Morde hätten verhindert werden können, wenn früher gegen solche Hetze vorgegangen worden wäre.

Erinnerung und Verantwortung: Aufruf zur Versöhnung

In einem weiteren Teil seiner Rede nahm Ehrsam Bezug auf den Nahost-Konflikt und den Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023. Die Schaffung des Staates Israel solle die Sicherheit jüdischen Lebens gewährleisten, doch Extremisten auf beiden Seiten verschärften den Konflikt. Ehrsam rief dazu auf, dass die moderaten Kräfte den Weg zur Versöhnung suchen und gemeinsam an einer friedlichen Zukunft arbeiten.

Während des Gedenkgangs besuchten die Teilnehmer nacheinander die Stolpersteine und die Häuser, an denen jeweils eine kurze Biografie der deportierten Familien verlesen und eine Schweigeminute eingelegt wurde. (cli)

Foto: Joachim Reinhard

 

Foto: Joachim Reinhard

 

Foto: Joachim Reinhard

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