Pirmasens (Südwestpfalz). Das Land Rheinland-Pfalz weist die Stadt Pirmasens per Erlass zur Anordnung weiterer Einschränkungen und Verbote an, bis hin zur nächtlichen Ausgangssperre.
Nach Auffassung der Landesregierung sollen diese Maßnahmen dem „Schutz der Bevölkerung gegen mögliche Infektionen mit dem Coronavirus“ dienen.
Die weitreichende Regelung umfassen neben Schließungen im Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe auch eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr und erneute Einschränkungen in den Bereichen Sport, Bildung, Kultur und Freizeit, gab die Stadtverwaltung am 16. März bekannt: „Die Verordnung tritt am Mittwoch, 17. März in Kraft und ist zunächst bis einschließlich 24. März 2021 gültig.“ (Die neue Allgemeinverfügung der Stadt Pirmasens ist im Internet-Service der Stadtverwaltung abrufbar).
Oberbürgermeister Markus Zwick hatte sich im Vorfeld intensiv bemüht, mit Fakten und Argumenten im Landesgesundheitsministerium, namentlich bei Staatssekretär Doktor Alexander Wilhelm, diese „drastische Anordnung“ zu vermeiden. (Wir berichteten.) Nach Ansicht des Ministeriums sollen „die vom Pirmasenser Verwaltungsstab in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsamt getroffenen zielgerichteten Maßnahmen“ nicht ausreichen, um die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen“, erklärt die Stadtverwaltung. „Mit Bedauern und Unverständnis hat Oberbürgermeister Markus Zwick die Weisung aus dem Gesundheitsministerium zur Kenntnis genommen.“
In einem Schreiben an den Staatssekretär im Gesundheitsministerium habe Zwick klargestellt, „dass die Stadt Pirmasens nicht per se gegen strengere Schutzmaßnahmen ist, sofern diese geboten und verhältnismäßig sind“. Im Hinblick auf die Schließung des Einzelhandels und von Betrieben, die körpernahe Dienstleistungen anbieten, hätte er erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der „Muster-Allgemeinverfügung“ angemeldet, die das Land den betroffenen Kommunen zur Verfügung stelle.
Der Verwaltungschef, selbst Volljurist, verweist auch auf das Saarländische Oberverwaltungsgericht, welches vergangene Woche einen Großteil der (dortigen) Corona-bedingten Beschränkungen im Einzelhandel kassiert habe. Er vertrete die Auffassung, dass es bei einem rechtmäßigen Erlass von Schutzmaßnahmen nicht alleine auf die Inzidenz-Zahlen ankommen dürfe, betont der Pirmasenser Oberbürgermeister. „Um eine Verordnung gewissenhaft und rechtssicher erlassen zu können, müssen unseres Erachtens weitere Gesichtspunkte Berücksichtigung finden.“
- Er verweist auf ein „Strategiepapier“ des Robert-Koch-Instituts (RKI, Berlin), das zur Einordnung der epidemischen Lage auf lokaler Ebene vier Kernindikatoren heranziehe:
- Die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner.
Den Anteil intensivmedizinisch behandelter Covid-19-Fälle an der Gesamtzahl der Bettenkapazität auf den Intensivstationen. - Die wöchentliche Inzidenz hospitalisierter Fälle unter den über 60-Jährigen pro 100.000 Einwohner.
- Den Anteil der Kontaktpersonen die nachverfolgt werden können.
„Zusätzlich sollen laut RKI bei einer Bewertung weitere Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, darunter der R-Wert, der Anteil neuer Varianten, der Anteil der Fälle ohne ermittelbare Infektionsfälle, Anzahl, Größe und Setting der Ausbruchsgeschehen“, so Zwick.
In seinem Schreiben an Gesundheitsstaatssekretär Wilhelm von Sonntagabend weist der OB nochmals darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Neuinfektionen in Pirmasens auf eine einzelne Kindertagesstätte zurückzuführen sei. Bisher wären alleine dort 33 Fälle von infizierten Erziehern, Kindern und deren Umfeld ermittelt und isoliert worden. „Ohne diese Fälle läge die Inzidenz in Pirmasens unterhalb von 100“, betont Zwick.
Außerdem sei nicht erkennbar, dass die Öffnung von Geschäften und Dienstleistern am 8. März ursächlich für den sprunghaften Anstieg der Fallzahlen verantwortlich sei, zumal die Unternehmen über strenge und gut funktionierende Hygienekonzepte verfügten.
Auch die Impf-Kampagne zeige erste Wirkung. Die hochvulnerablen (hier: besonders gefährdete) Gruppen in Alten- und Pflegeheime seien inzwischen erfolgreich immunisiert. Nach Auskunft des Gesundheitsamts wären derzeit überwiegend junge Menschen betroffen, die mildere Krankheitsverläufe zeigten. Darüber hinaus gäbe es keinen medizinischen Engpass. Auf der Intensivstation des Städtischen Krankenhauses werde derzeit ausschließlich ein Covid-19-Patient behandelt.
OB Zwick kritisiert Vorgehen
OB Markus Zwick kritisiert das Vorgehen des Landes, von kreisfreien Städten und Landkreisen ab Inzidenzen von über 50 beziehungsweise 100 zu verlangen, jeweils eigene Allgemeinverfügungen zu erlassen, wenn örtliche oder regionale Besonderheit und Infektionsgeschehen unberücksichtigt blieben.
In seinem Brief an den Staatssekretär regte er deshalb an, das bisherige rein an Inzidenzen orientierte Verfahren spätestens mit der Fortschreibung der aktuellen Landesverordnung neu zu regeln sein sollten. „Dies würde zu mehr Rechtssicherheit und andererseits zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen“, ist Zwick überzeugt.
Interview mit Werner G. Stähle
Er habe erwartet, seine Argumente würden bei der Landesregierung Anerkennung finden, äußerte er im Gespräch mit dem Verfasser. „Für mich kam der Erlass gestern Abend überraschend. Ich bin sehr traurig, vor allem für unsere Händler sowie Dienstleistungsbetriebe. Diese haben mir gegenüber Verständnislosigkeit geäußert.“ Er schließe gerichtliche Klagen von deren Seite nicht aus. Bezüglich der Rechtmäßigkeit des Erlasses der Landesregierung habe er Bedenken und deshalb nochmals den Staatssekretär angeschrieben, ließ Jurist Zwick weiter wissen.
Appell an die Bevölkerung
Markus Zwick appelliert an die Bevölkerung: „Die jetzt geltenden Maßnahmen fordern von unserer gesamten Stadtgesellschaft erneut große Zugeständnisse. Tragen Sie bitte aktiv dazu bei, dass die Infektionszahlen wieder sinken. Halten Sie sich konsequent an die geltenden Regeln. Treffen Sie so wenige Menschen wie möglich, tragen Sie Maske, halten Sie Abstand und lassen Sie sich impfen, sobald für Sie die Möglichkeit dazu besteht. Sie schützen damit sich, Ihre Familie und andere.“ (Werner G. Stähle)
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