Dienstag, 05. November 2024

Chawwerusch: Fantastische Premiere von „Grimm und Gretel“ im Geilweilerhof in Siebeldingen

5. Juni 2016 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Kultur, Regional
Mutter Grimms Botschaft an ihre Kinder. Fotos: pfalz-express.de/Kunze

Mutter Grimms Botschaft an ihre Kinder.
Fotos: pfalz-express.de/Kunze

Herxheim/Siebeldingen – Das Herxheimer Theaterensemble Chawwerusch war am Donnerstagabend so richtig in seinem Element.

Die Freilichtaufführung über das Leben der Gebrüder Grimm wurde am Ende mit „Standing Ovations“ von seitens des Publikums belohnt. Aufgrund der unsicheren Wetterlage musste die Vorstellung allerdings im Gewächshaus stattfinden, was aber der Darbietung in keiner Weise geschadet hat. Bis auf den letzten Platz war alles ausverkauft.

Jedermann und jedes Kind kennen hierzulande die gesammelten Märchen der Gebrüder Grimm. Doch die Lebensgeschichte dieser unermüdlichen Schreiberlinge ist weniger geläufig.

Ursprünglich lebte die Familie Grimm in Hanau. Jacob und Wilhelm Grimm wurden 1785 und 1786 dort geboren. Der Vater, der Jurist und Amtmann war, verstarb früh und in einer Zeit, in der Frauen noch unmündig und damit nicht rechtsfähig waren.

Deshalb lag es nun an den Söhnen, für die Familie zu sorgen. Doch Jacob und Wilhelm waren erst 11 und 12 Jahre alt. An den jüngeren Bruder Ferdinand war in dieser Hinsicht überhaupt nicht zu denken. Sie gerieten in Not und mussten sogar vorübergehend ins Armenhaus.

Mutter Grimm traf eine Entscheidung und schickte ihre Söhne nach Kassel, um Schule und Ausbildung zu vollenden und dadurch für die Familie sorgen zu können. Sie gab Jacob und Wilhelm noch eine Botschaft mit auf den Weg: „Haltet die Familie zusammen! Bewahrt das Vergangene! Sucht nach dem Schatz!“.

Damit beginnt das Bühnenstück. Doch um das Publikum nicht im Unklaren darüber zu lassen, wer denn nun wer ist, stellten sich die Protagonisten vor Beginn der eigentlichen Darbietung an einzelnen Stationen im Geilweilerhof vor. Die romantische Kulisse des Rebeninstituts in Siebeldingen war wie geschaffen für die Familie Grimm.

Im Hof begrüßte der Älteste der Brüder, Jacob (Ben Hergl) die Besuchergruppen – korrekt in seinem Wesen, ganz der Wissenschaft verschrieben und äußerst akribisch: „Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte.“

An der nächsten Station wartete Wilhelm (Thomas Kölsch), der eher verträumt in die Ferne schaute. Ein abgeschiedener Geist, der gerne in die Kindheit zurückblickt, in eine Zeit, in der „das Wünschen noch geholfen hat“. So führte ein Seil anstatt Brotkrumen durch das Gelände des Geilweilerhofs zur Schwester Lotte (Miriam Grimm), zum Bruder Ferdinand (Stephan Wriecz), dem schwarzen Schaf der Familie und zur Mutter Dorothea Grimm (Felix S. Felix), die gerade um ihren Mann trauerte.

Geschickt bauten der Autor und Regisseur des Stücks Walter Menzlaw und seine Regieassistentin Dagmar Brade, so wie die Dramaturgin Sieglinde Eberhart eine Verknüpfung von Personen und Begebenheiten auf.

Schlafender Wilhelm.

Schlafender Wilhelm.

Der Zuschauer wurde direkt in die schwarz-weiße Szenerie auf der Bühne hineingesogen, die das gut und böse Denken der Märchenwelt vermittelte.

Cansu Incesu machte sich an diesem Abend als „Queen des Moosgummis“ einen Namen, da ihre fantasievolle Körper- und Bühnendekoration, die sie zusammen mit Jörn Fröhlich erarbeitete, diese Bezeichnung sehr wohl verdient. Moosgummibücherhüte, Moosgummiperücken, Moosgummipapier – überall kam dieses biegsame Bastelmaterial zum Einsatz.

Vor allem aber vermochten die Darsteller, die zauberhafte Stimmung mit realen Geschehnissen und auch gewissen Traumsequenzen zu verbinden.

Hier wurden in „mondbeglänzten Zaubernächten“ die mythologischen Texte mit den Dialogen der Akteure verwoben.

Die nüchternen Charaktere Gebrüder Grimm tauchten in ihren Schriften ab, sammelten von Nord nach Süd alles, was ihnen vor die Feder kam und schrieben dies gewissenhaft nieder. Alle Märchen aus dem Volkes Mund werden festgehalten und sollen später als die klassischen Kinder– und Hausmärchen erscheinen.

Das Vielschreiber-Duo.

Das Vielschreiber-Duo.

So stellt es sich zumindest der Verleger (Felix S. Felix) aus der Hauptstadt vor, der diese gerne kindgerecht zurechtgestutzt haben möchte und ein profitables Geschäft wittert.

Bis auf Jacob und Wilhelm Grimm spielen die anderen Darsteller mehr als eine Person.

Ein steter Rollenwechsel bietet dem Publikum eine Vielzahl von Charakteren im Stück.

Miriam Grimm spielt nicht nur die Schwester Lotte, sondern unter anderen auch Bettine von Arnim. Eine ungewöhnliche Frau in jener Zeit, emanzipiert und politisch. Sie hält nicht so viel von Geschichte, die von Männern für Männer geschrieben wurde. Viel mehr setzt sie auf einen klaren Verstand und wahre Fantasie.

Stefan Wriecz ist auch nicht nur der kleine, ewig pleite Grimm-Bruder Ferdinand, sondern tritt ebenso als Bruder von Napoleon in Erscheinung. Er schlüpft in die Rolle des Todes und einiger weiterer Figuren.

Die Darsteller spielen sich in fließenden Rollenwechseln durch diese Zeit der politischen Umbrüche. Sie erleben den Einmarsch der Franzosen in Kassel mit und auch die Rückkehr des Kurfürsten.

Die Gebrüder Jacob und Wilhelm erfahren Tod und Erwerbslosigkeit und bleiben dennoch jene, die in den „Büchern spazieren gehen“ und sich selbst treu bleiben.

Sie sind Vielschreiber, die auch das „Deutsche Wörterbuch“ erarbeiteten. Sie versuchten, die Familie zusammen zu halten. Sie bewahrten Wortschätze und Erzählungen aus der Vergangenheit für die Zukunft.

Chawwerusch Grimm und Gretel Verfassen der zugetragen Märchen

Auf jeden Fall erreichten die beiden ein hohes Alter und wurden wunderbar dargestellt auf der Bühne im Gewächshaus des Geilweilerhofs. Mutter Grimm wäre sicherlich stolz auf ihre Jungs gewesen, aber auch auf alle anderen Darsteller, die sich ordentlich ins Zeug legten, um eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen.

Fantasievoll und fantastisch gestaltet, konnte der Zuschauer in eine märchenhafte Welt abtauchen, die musikalisch passend von Karl Atteln ummantelt wurde.

Durch die volksliederartigen Eigenkompositionen hat er den Charakter der Zeit der Romantiker besonders herausgearbeitet. Aber auch durch das Einbauen der Texte von typischen Vertretern dieser Epoche wie Clemens Brentano, Achim von Arnim oder Joseph von Eichendorff taten ihr übriges.

Grimm & Gretel ist ein prall gefülltes Geschenk für jeden Theaterliebhaber und Fan von den Märchen aus der guten alten Zeit, die auch so ihre Tücken hatte.

Jacob und Wilhelm Grimm blieben jedenfalls ihr Leben lang zusammen, und wer weiß, wenn sie nicht gestorben sind…!  (Gabi Kunze)

Chawwerusch Grimm und Gretel Thomas Kölsch als Wilhelm

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